Rundbrief - Die Misere marktgerechter Kliniken
Kürzlich hat „Der Spiegel“ mit zwei gut recherchierten Berichten über die Misere deutscher Krankenhäuser berichtet. Seit der Titelgeschichte „Der kranke Konzern“ geistert über die dort beschriebene Asklepios-Klinik Hamburg St. Georg der Begriff „die Skandalklinik“ herum. Doch das ist ein Missverständnis. Denn letztlich spiegelt der Spiegel-Artikel nur die Oberfläche einer Misere, die die meisten deutschen Kliniken heute beherrscht.
Erlös wichtiger als die Behandlung
Diese Misere nahm 2003 ihren Anfang mit einem neuen Vergütungssystem für deutsche Krankenhäuser, der Abrechnung nach Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRGs). Dem gab der damalige Präsident der Bundesärztekammer Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe den Titel „Der Mensch als Verlierer“. Ab jetzt, meinte er, werde in Kliniken „nicht mehr der kranke Mensch und sein individuelles Schicksal, sondern der Erlös aus der Behandlung des Patienten im Vordergrund stehen.“ Die Krankenhäuser erhalten seither für die Behandlung einen fixen, für die jeweilige Krankheit spezifizierten Preis. Jede Klinik bekommt für die Behandlung z.B. einer Lungenentzündung das gleiche Geld und ist damit in einen marktgerechten Krankenhauswettbewerb getrieben. Schafft es die Klinik, die Behandlung billiger zu machen als der erstattete Preis, erwirtschaftet sie Gewinn. Schafft sie es nicht, weil sie teurer ist, muss sie schließen oder wird von Privaten übernommen.
Der Schlüssel für die Privatisierung
Seither sind private Krankenhauskonzerne im Vormarsch. Zunächst vornehmlich als Rosinenpickerei. Private übernahmen Kliniken, in denen sie sich auf lukrative Behandlungen konzentrieren, mit denen einerseits ein guter Preis zu erzielen ist und andererseits durch „Massenproduktion am Fließband“ Kosten reduziert werden können. Z.B. gibt es für eine sog. non invasive Herzklappenoperation (über eine Vene in der Leiste) 33.600 €. Vor allem Private steigerten die Anzahl dieser riskanten Behandlung in nur 6 Jahren (von 2008 bis 2014) um 2180 Prozent. Da muss doch die Frage erlaubt sein, was motiviert Ärzte zu einer derart radikalen Ausweitung: Das Wohl der Patienten oder ökonomische Erwägungen?
Öffentliche Krankenhäuser
der Grundversorgung haben es da schwerer. Sie müssen auf alle Eventualitäten und Notfallbehandlungen vorbereitet sein. Für die Behandlung einer Notaufnahme gibt es 30 € - auf jeden Fall ein Zuschussgeschäft! Um dennoch zu überleben, haben auch Öffentliche den größten Kostenfaktor, die Personalkosten, radikal reduziert! Ob öffentlich oder privat, das Bild ist seither einheitlich: Sog. „patientenferne“ Arbeitskräfte, der klinikinterne Krankentransport, die Sterilisationsabteilung, der Bluttransport, die Therapeuten und Putzkräfte sind mit tariflosen und prekären Löhnen ausgesourct. Die Zahl Pflegekräfte wurde radikal reduziert. Fast alle klagen, nur noch erschöpft, überarbeitet und ausgelaugt zu sein. Die wenigsten halten das länger aus, die meisten „überleben“ nur mit starker Stundenreduzierung und damit verbundenem Lohnverlust.
Das war nicht immer so
Viele der heutigen Krankenhäuser wurden in den 1960er – 1990er Jahren errichtet. Ziel war es damals, dem Sozialstaatsgebot entsprechend, eine hochwertige Gesundheitsversorgung in der Fläche sicherzustellen. Dabei war es gesellschaftlicher Konsens, dass politisch Verantwortliche mit den Krankenhäuser ihrer Verpflichtung zur Daseinsvorsorge nachkommen, dass die Kliniken eine soziale Funktion haben und nicht dem Markt unterworfen sind. Erbaut und erhalten wurden sie mit Steuergeldern. Die Behandlung der Patienten bezahlten die gesetzlichen Krankenkassen nach dem Prinzip der Selbstkostendeckung.
Die angebliche Kostenexplosion
Doch seit den 90er Jahren war plötzlich von einer Kostenexplosion im Gesundheitswesen die Rede. Unternehmen monierten die Belastung durch das stete Steigen des Krankenkassen-Beiträge. Sind die Gesundheitskosten aber wirklich explodiert? Betrachtet man sie im Verhältnis zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, so stagnieren sie seit Jahrzehnten bei ca. 6,5%. Aber warum dann steigende Beiträge? Sie werden aus der Lohnsumme bezahlt. Die Lohnquote, der Prozentsatz der Lohneinkommen am Volkseinkommen, betrug 1982 noch 77%. Er sank bis 2007 auf 65%. Die Beschäftigten, die ihr Einkommen aus Lohn beziehen, haben 12% am gesamtwirtschaftlichen Kuchen verloren. Die Reichen haben mehr, die Beschäftigten weniger. Die Krankenkassenbeiträge, die aus der Lohnsumme bezahlt werden, musste daher um 12% steigen. Nur so konnten die Gesundheitsausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt gleich bleiben. Nein, nicht die Gesundheitskosten waren explodiert – eine große Lüge! Um im Bild zu bleiben: „nur“ die Löhne sind relativ implodiert!
Doch die Lüge hatte einen Sinn
Die Krankenhäuser sollten marktgerecht, öffentliches Eigentum privatem Kapital einverleibt werden. Das an der Daseinsvorsorge orientierte Prinzip der Selbstkostenerstattung der Kliniken war zwar effektiv, kam fast ohne Bürokratie aus und wurde den Patienten gerecht. Doch nun wurde es schlecht geredet, es sei nicht effektiv und fördere überlange Liegezeiten. Dabei hatten die Krankenhäuser schon ganz ohne Markt die durchschnittliche Verweildauer von 1960 mit 28 Tagen auf 8 Tage in 2003 reduziert.
Nach einem guten Jahrzehnt marktgerechter DRGs
ist die mittlere Verweildauer auf 6 Tage gesunken. Dafür sind aber die Fallzahlen stark gestiegen. Denn mit den DRGs kann man immer nur eine Hauptdiagnose behandeln, und für deren Behandlung wird stets die ökonomisch optimal kurze Liegezeit errechnet. So kommt es jetzt häufig zu sog. blutigen Entlassungen. Allerdings wird der entlassene Patient oft gleich am nächsten Tag mit einer anderen Diagnose wieder eingeliefert. Ein neuer Fall bringt neues Geld! Folgerichtig stiegen die Fallzahlen allein von 2005 bis 2013 um 12,9%! Durch die Konzentration auf viele, möglichst lukrative Fälle und den Ausschluss verlustbringender konnten die Privaten ihre Erlöse aus den DRGs um 106% steigern – öffentliche Kliniken um 20%.
Marktgerecht ist teurer
„Asklepios-Klinik St. Georg seit 1897“, steht am Eingang des einstigen Allgemeinen Krankenhauses St. Georg. Den Beschäftigten reichen die 10 Jahre vollauf, seit Asklepios hier das Ruder übernahm und begann, mit Chefärzten Zielvereinbarungen zu treffen über die Steigerung der Fallzahlen, vor allem der schweren, lukrativen. Von der Einhaltung der Vereinbarung hängt z.T. das Gehalt ab. Auf jeden Fall droht dem Chefarzt bei Nichteinhaltung eine weitere Reduktion des Pflegepersonals. Und sogar die Schließung wie bei der Abteilung für Allgemeine Innere Medizin geschehen. Niedrigpreisige Stoffwechselerkrankungen, Durchfall mit Fieber oder Diabetes brachten nicht genügend Gewinn. Jede einzelne Abteilung wird darauf getrimmt, mindestens 12% Gewinn einzufahren. So steigen die Fallzahlen und vor allem die gewinnbringenden. Und damit das Geld fließt, muss jeder Handgriff dokumentiert werden. Undokumentiert gibt es kein Geld. Seit der Einführung der DRGs verbringen Ärzte und Pfleger einen Großteil Ihrer Arbeitszeit mit der Dokumentation. Auch das führt dazu, dass für die Patienten kaum noch Zeit bleibt und die Krankenhauskosten nun tatsächlich beträchtlich gestiegen sind.
Das geht uns alle an – jede/r von uns kann ernsthaft krank werden und dann erleben,
wie PflegerInnen fast nur noch in Hetze sind. So bleibt in Zeiten multiresistenter Krankenhauskeime auch Ärzten nicht genug Zeit, alle vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen umzusetzen. So wird z.B. das Stethoskop oft nicht desinfiziert beim Übergang zu einem anderen Patienten. Nach Recherchen der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene sterben jährlich 40.000 Patienten an multiresistenten Keimen in den Krankenhäuser, auch weil diese als profitorientierte Wirtschaftsunternehmen geführt werden.
Arme Klinken – reicher Konzern
Wer verzweifelten PflegerInnen und abgefertigten Patienten hohen Gewinne abringt, will sie nicht durch Steuern verlieren. 2015 setzte der Asklepios-Eigentümer Bernhard gr. Broermann einen Teil dieser Gewinne in den Kauf des Hamburger Nobelhotel Atlantik um. „Asklepios“ war der griechischen Gott der Heilkunst, der von Zeus mit einem Blitz erschlagen wurde, weil dieser Angst hatte, dass durch Asklepios kein Mensch mehr sterben müsse. Hätte Zeus nur den modernen Asklepios gekannt. Aber eigentlich hätte Bernhard gr. Broermann seinen Konzern ja „Hermes“ nennen müssen, nach dem Gott der Händler und der Diebe.
Die PflegerInnen in der Berliner Charité und im Saarland
haben bereits gezeigt, wie Gegenwehr ist: Der Kampf für einen Tarifvertrag Entlastung, für eine verbindliche Peronalbemessung ist auch gegen die marktgerechten DRGs gerichtet. Lassen wir sie nicht allein. Die Auseinandersetzung verdient die größte Öffentlichkeit. Auch der Film „Der marktgerechte Mensch“ wird dazu beitragen.